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Startplatz Startnummer Song Contest ESC
Landrut © taniavolobueva | Shutterstock.com

Eurovision Song Contest: Erfolgsgeheimnis Startposition

Besonders im Hinblick auf die eher enttäuschenden Ergebnisse Deutschlands beim Eurovision Song Contest der letzten Jahre wird zuweilen häufig über mögliche Erfolgsrezepte diskutiert. Vom musikalischen Stil über das Bühnenoutfit bis hin zu politischen Beziehungen zwischen den Teilnehmerländern gibt es zahlreiche Aspekte, die einen Einfluss auf das Ergebnis haben können.

Doch welche Rolle spielt die Startposition eines Landes bei der Chancenverteilung? Zunächst könnte die Reihenfolge der Auftritte beim ESC wie ein eher unwichtiges Detail wirken. Wirft man jedoch einen Blick auf die Resultate vergangener Jahrzehnte, steckt vielleicht mehr hinter dieser kleinen Einzelheit als man gegebenenfalls vermuten würde.

Aus diesem Grund haben wir uns auf die Suche nach möglichen Zusammenhängen zwischen dem Erfolg von ESC-Teilnehmern der Vergangenheit und ihren jeweiligen Startpositionen gemacht. Wo würden Sie Deutschland platzieren, wenn Sie die Auftrittsreihenfolge beim Eurovision Song Contest bestimmen dürften?

Einfluss der Startposition im alten Wertungsmodus

Bis im Jahr 1997 erstmals in ausgewählten Ländern das Televoting getestet wurde, war lediglich die Jury dafür zuständig, Wertungspunkte an die Teilnehmer zu verteilen. Im Großteil dieses Anfangszeitraums des Eurovision Song Contests bestand die Jury sowohl aus Experten als auch aus musikinteressierten Laien unterschiedlicher Nationalitäten. Auf diese Weise sollte größtmögliche Objektivität gewährleistet werden.

In besonderem Maße anzumerken ist hier der Zeitpunkt der damaligen Wertungsvergabe. Diese erfolgte unmittelbar nach den jeweiligen Auftritten. Die heutige Beurteilung durch die Jury und das Publikum erfolgt erst im Anschluss an die Vorstellung aller Lieder.

Daher haben wir sämtliche ESC-Ergebnisse zwischen 1975 und 1996 zur Betrachtung herangezogen und uns die Startpositionen der Gewinner angesehen. Wie wirkte sich damals also die Abfolge der Darbietungen auf die Bestimmung des Siegers aus? Lässt sich ein eindeutiger Trend feststellen?

Tatsächlich sind die siegreichen Länder des betrachteten Zeitraums auf viele verschiedene Startpositionen verteilt. Eine aussagekräftige Tendenz lässt sich nicht feststellen. Die vielfältige Streuung der Erstplatzierten bei verschiedenen Startreihenfolgen lässt darauf schließen, dass die Auftrittszeitpunkte vermutlich keinen großen Einfluss auf die Ernennung des Preisträgers hatten.

Ein möglicher Grund für diesen Umstand liegt wohl darin, dass ohne das heute vorherrschende Televoting jede Bewertung gleichermaßen direkt im Anschluss an eine Darbietung vorgenommen wurde. Dementsprechend nachvollziehbar ist es, dass der Juroreneindruck bei einem solchen Wertungsmodus deutlich weniger durch zeitliche Faktoren verfälscht wird.

Einfluss der Startposition unter dem aktuellen Abstimmungsverfahren

Das Konzept der Zuschauerabstimmung in ausgewählten Ländern fand 1997 beim Publikum großen Anklang. Daher wurde das so beliebte Abstimmungssystem ein Jahr später mit einer Ausnahme von wenigen Ländern vollständig eingeführt. Anfangs löste diese Art der Bewertung die Beurteilung durch eine Jury sogar gänzlich ab.

Im mittlerweile gängigen System werden die Punkte jeweilig zur Hälfte von Jury und Publikum vergeben. Zwischen 2009 und 2015 ergab sich daraus für jedes Land eine kombinierte Punktzahl, während seit 2016 die Zuschauer und die Jury separate Punktzahlen verleihen.

Mit der Einführung des Televotings wurde eine unmittelbare Bewertung nach den Musikstücken nur noch schwierig realisierbar und daher größtenteils abgeschafft. Im aktuellen Abstimmungsverfahren erfolgt die Beurteilung erst, wenn sämtliche Teilnehmerländer ihre Performances abgeliefert haben.

Im Vergleich zu früheren Jahren hat sich am ESC-Format also einiges geändert, doch haben diese Änderungen überhaupt Einfluss auf die letztendliche Punktevergabe? Um dies herauszufinden, haben wir uns die Statistiken der Jahre 2005 bis 2015 angesehen und zusätzlich das Resultat des diesjährigen Eurovision Song Contests berücksichtigt.

Hier zeigt sich eine bedeutend stärkere Tendenz als bei der Betrachtung der älteren Ergebnisse. Von den Siegern der untersuchten Eurovision Song Contests traten 10 von 12 mit einer Startposition an, die mindestens 17 betrug. Lediglich zwei Ausnahmen gewannen mit den jeweiligen Startnummern 10 und 11.

Auffällig ist ebenfalls, dass sich die schlecht platzierten Teilnehmerländer überwiegend im ersten Drittel der vergebenen Startpositionen tummelten. Daher ist eine Schmälerung der Gewinnchancen durch einen Auftritt nah am Beginn der Show durchaus vorstellbar.

Es deutet also viel darauf hin, dass sich hinter bestimmten Startpositionen wirklich eine erhöhte Gewinnwahrscheinlichkeit verbergen könnte. Dies hat möglicherweise auch bei der spektakulären Erstplatzierung von Lena Meyer-Landrut im Jahr 2010 eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Durch eine Wildcard konnte die Startnummer von Deutschland nämlich frei gewählt werden.

Die Wahl viel womöglich klugerweise auf Position 22. Nicht nur das Endergebnis dieses für Deutschland denkwürdigen Eurovision Song Contests unterstützt die These, dass sich hinter der Auftrittsreihenfolge unterschiedliche Erfolgsaussichten verbergen könnten. Auch die Auswahl eines solch späten Auftrittszeitpunkts lässt vermuten, dass sich die Verantwortlichen bessere Chancen von einer zeitlich weiter hinten liegenden Performance erhofften.

Ist das Bewertungssystem ungerecht?

Es hält sich schon seit Jahren das Gerücht, dass die Auftrittsreihenfolge beim Eurovision Song Contest ein wichtiger Erfolgsaspekt ist. Die vorgenommene Betrachtung der herangezogenen Statistiken ist zumindest ein Indikator dafür, dass hinter diesem Gerücht vielleicht tatsächlich ein nicht unbedeutender Wahrheitsanteil steckt.

Allerdings war das ESC-Bewertungssystem bereits vor der Einführung des Televotings häufig Kritik ausgesetzt. Die Punkteverteilungen der Juroren wurden oft als ungerecht empfunden und nicht selten wurden Stimmen laut, die politische Tendenzen vermuteten.

Diese Bemängelung der Öffentlichkeit von vermeintlich zu geringer Fairness konnte auch durch das neuere Format der Publikumsabstimmung nie gänzlich beseitigt werden. Bis heute wird regelmäßig heftig kritisiert, dass sich einige Teilnehmerländer desselben Kulturraums oftmals gegenseitig bei der Wertung begünstigten.

„Der ESC ist ein Wettbewerb, bei dem auf der Basis subjektiver und oft sehr persönlicher Meinungen abgestimmt wird – und es wird immer Leute geben, die mit dem Resultat nicht einverstanden sind.“ – Europäische Rundfunkunion

Als Lösungsansätze für das Problem der Startpositionen kommen einige verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Zum einen wurden bestimmte Maßnahmen wie beispielsweise eine Zusammenfassung der Auftritte in umgekehrter Reihenfolge am Ende der Performances bereits ausgetestet. Zum anderen könnte man den Zuschauern nach jedem Auftritt einen kurzen Zeitraum nach jedem Auftritt gewähren, um den Zeitraum zwischen Auftritt und Bewertung bei jedem Teilnehmer gleich zu halten.

Das große Problem bei dieser Lösung wäre jedoch einerseits, dass die effiziente Nutzung von Sendezeit deutlich schwieriger wäre. Andererseits wäre das Publikum auf diese Weise gezwungen, Länder zu beurteilen, ohne alle Teilnehmer gesehen zu haben.

Hauptsächlich ist der vermeintliche Vorteil späterer Startpositionen vermutlich darauf zurückzuführen, dass weniger weit zurückliegende Darbietungen während der Bewertung bei vielen Menschen klarer im Gedächtnis vorhanden sind als zu Beginn der Show aufgetretene Acts. Zudem ist die emotionale Wirkung später angesetzter kompletter Performances zu diesem Zeitpunkt trotz der im Anschluss folgenden Zusammenfassungen nicht selten in noch prägenderem Maße präsent.

Dieser bedeutsame Umstand ist zwar ein Hinweis darauf, dass die statistischen Vor- und Nachteile von unterschiedlichen Startnummern womöglich maßgeblich die Fairness des weltbekannten Wettstreits beeinträchtigen. Allerdings liegt der Grund zu einem großen Teil in der psychologischen Funktionsweise unserer Wahrnehmung. Daher stellt sich die Frage, zu welchem Anteil das Bewertungssystem selbst die Schuld dafür trägt und in dieser Hinsicht zu kritisieren ist.

Die zahlreichen mehr oder weniger kleinen Änderungen am Abstimmungsverfahren des Eurovision Song Contests zeigen immerhin, dass die Kritik nicht spurlos an den Verantwortlichen des berüchtigten Musikwettbewerbs vorbeizieht. Inwiefern es für ein solches Format überhaupt möglich ist, ausreichend nah an ein zufriedenstellendes Maß von wertungstechnischer Fairness zu kommen, bleibt allerdings fraglich.

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