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Ig-Nobelpreis 2016: Die skurrilsten Wissenschaftsbeiträge des Jahres

Jährlich werden nicht nur die größten wissenschaftlichen Errungenschaften verschiedener Bereiche mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Kurz vor der Verleihung der offiziellen und Alfred Nobel gewidmeten Ehrungen wird an der Harvard-Universität in Cambridge der sogenannte Ig-Nobelpreis in unterschiedlichen Kategorien vergeben.

Dieser Preis ist eine satirische Auszeichnung, die häufig als eine Art Anti-Nobelpreis bezeichnet wird. Sein Name ist ein Wortspiel mit dem englischen Wort „ignoble“, was im Deutschen so viel wie „unehrenhaft“ oder „unwürdig“ bedeutet. Geehrt werden damit ungewöhnliche wissenschaftliche Leistungen, die „Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen“. Oft handelt es sich dabei um äußerst unterhaltsame und auf den ersten Blick völlig triviale Forschungen. In manchen Fällen erfolgt die Vergabe jedoch auch als ironisch gemeinter Spottpreis, wie das diesjährige Beispiel des Ig-Nobelpreises an Volkswagen zeigt.

Auch in diesem Jahr bot die Verleihung der diesmal aus Plastikuhren bestehenden Ig-Nobelpreise erneut einen hohen Unterhaltungswert. Zu diesem Anlass haben wir für 2016 die interessantesten Preisträger verschiedener Kategorien und deren Wissenschaftsbeiträge für Sie zusammengetragen.

Ig-Nobelpreis Perzeption

Haben Sie sich jemals gefragt, ob Dinge anders aussehen, wenn Sie sich vorbeugen und sie durch die eigenen Beine hindurch betrachten? Wenn ja, dann haben Sie etwas gemeinsam mit Atsuki Higashiyama und Kohei Adachi. Diesen beiden Wissenschaftlern brannte besagte Frage so sehr auf der Seele, dass sie umfassende Nachforschungen zu diesem Thema anstellten und 2016 für ihre Mühen mit dem Ig-Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Herausgefunden haben die Forscher konkret, dass sich die Wahrnehmung bei einem Blick durch die Beine tatsächlich verändert und Dinge dabei kleiner erscheinen. Die so gewonnene neue Perspektive demonstrierten die Professoren dem Publikum auf der Ig-Nobelpreisverleihung nach vorne gebeugt sogar an einem praktischen Beispiel. Wie nützlich diese Erkenntnis letztendlich ist, bleibt fraglich. Einen ausgeprägten Sinn für Humor konnten Higashiyama und Adachi mit ihrer wissenschaftlichen Leistung allerdings allemal beweisen.

Ig-Nobelpreis Medizin

Einer der undotierten Spaßpreise ging für eine Errungenschaft im Gebiet der Medizin nach Deutschland. Professor Christoph Helmchen vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein beschäftigte sich zusammen mit einem Lübecker Forscherteam mit einer neuen Linderungsmethode von Juckreiz. In seiner Arbeit mit dem Titel „Itch Relief by Mirror Scratching“ ergründete er, wie man bei lästigem Jucken durch das Austricksen des Gehirns auf alternative Weise Abhilfe schaffen kann.

Der Neurologe und sein Team fanden heraus, dass ein auf der linken Seite verspürtes Hautjucken auch gelindert werden kann, wenn man sich vor den Spiegel stellt und die rechte Seite kratzt. Umgekehrt soll das den Forschern zufolge ebenfalls funktionieren. Diese Beobachtung fanden scheinbar nicht nur die Juroren des Ig-Nobelpreises faszinierend. Durch die medizinische Entdeckung bekamen die Wissenschaftler des Forschungsteams weltweit Aufmerksamkeit, denn unter anderem in den USA berichteten mehrere namhafte Zeitungen über das Projekt.

Ig-Nobelpreis Chemie

Ein weiterer deutscher Preisträger ist der Volkswagen-Konzern in der Kategorie Chemie, auch wenn die Ehrung in diesem Fall natürlich deutlich spottender gemeint ist. Die Auszeichnung würdigte nach Worten des Moderators der Preisgala „die Lösung des Problems des übermäßigen Ausstoßes von Autoabgasen, indem automatisch elektromechanisch weniger Abgase produziert werden, wenn die Autos getestet werden“.

Ruft man sich den großen VW-Abgasskandal in Erinnerung, dessen finanzielle Schäden je nach endgültigem Ausgang der Situation noch auf über 100 Milliarden US-Dollar ansteigen könnten, dann ist der sarkastische Unterton des Moderators Marc Abrahams durchaus nachvollziehbar. Verständlich ist daher auch seine genüssliche und der Preisbegründung gefolgte Äußerung: „Der Gewinner konnte oder wollte heute Abend nicht bei uns sein.“

Ig-Nobelpreis Frieden

In der Kategorie Frieden ging der Ig-Nobelpreis an eine Reihe von kanadischen und US-amerikanischen Wissenschaftlern für ihre Arbeit mit dem Titel „Zur Rezeption und Entlarvung pseudo-tiefsinnigen Bullshits“. Die Publikation, in der das Wort „Bullshit“ bewusst mehr als 100-mal verwendet wird, beschreibt Ergebnisse von umfangreichen Studien zur Fähigkeit von Probanden, die mangelnde Tiefsinnigkeit von pseudo-fundierten Zufallssätzen zu erkennen.

Hierzu wurden mittels verschiedener Generatoren mehr oder weniger syntaktisch korrekte Sätze aus zufälligen und intellektuell klingenden Worten zusammengewürfelt. Die Probanden sollten diese dann bezüglich der Tiefsinnigkeit sowie Bedeutungsschwere auf einer Skala von 1 bis 5 bewerten. Ergebnis der generierten Sätze waren fragwürdige Aussagen wie zum Beispiel „Eine versteckte Bedeutung transformiert beispiellose, abstrakte Schönheit“. Die Versuchspersonen wurden natürlich nicht darüber informiert, dass die zu beurteilenden Sätze von Generatoren stammen. Außerdem wurden von den Forschern ebenfalls gewöhnliche Alltagssätze unter die generierten Aussagen gemischt, um am Ende zu einem schlüssigeren Ergebnis zu kommen.

Gordon Pennycook und seine Kollegen fanden dabei heraus, dass leere und intelligent klingende Schlagworte in der Tat häufig großen Einfluss auf die Wahrnehmung von unter Umständen unsinnigen Aussagen haben. Der schlussendlich resultierende Mittelwert von 2,6 zeigte, dass die Sätze durchschnittlich als zwischen „etwas tiefsinnig“ und „recht tiefsinnig“ eingestuft wurden. Zudem vergab mehr als ein Viertel der Teilnehmer durchschnittliche Wertungen von 3 oder höher, was Beurteilungen als „recht profund“ oder sogar „sehr profund“ entspricht.

„Für uns ist sogenannter ‚Bullshit‘ eine Aussage, die ohne jeglichen Bezug zur Wahrheit konstruiert wurde. Darin liegt ein Unterschied zu herkömmlichen Lügen. Lügen haben tatsächlich einen großen Bezug zur Wahrheit, denn sie sind dazu da, diese gezielt zu verzerren. Um zu lügen, muss jemand der Meinung sein, die Wahrheit zu kennen. Für einen ‚Bullshitter‘ ist das irrelevant.“ – Gordon Pennycook

Die Autoren der Arbeit kamen außerdem zu dem Schluss, dass weniger reflektierte Menschen sowie Personen mit Neigung zu paranormalen Glaubensvorstellungen oder Pseudomedizin tendenziell eine größere „Bullshit-Empfänglichkeit“ besitzen. Leeres Gerede lässt sich den Ig-Friedensnobelpreisträgern zufolge also nur mit ausreichendem Urteilsvermögen über trügerische Vagheit zuverlässig erkennen.

Ig-Nobelpreis Literatur

Der Ig-Nobelpreis für Literatur wurde an Fredrik Sjöberg für seine dreibändige autobiographische Arbeit verliehen. Zunächst klingt das sehr gewöhnlich für eine derart kuriose Wissenschaftsauszeichnung, doch ausschlaggebend war das eigenartige Thema seiner Bücher.

Diese behandelten nämlich „die Freuden des Sammelns von toten Fliegen – und Fliegen, die noch nicht tot sind“. In den Augen der für die Vergabe zuständigen Juroren waren seine drei Bände „Die Fliegenfalle“, „Der Rosinenkönig“ und „Die Kunst zu fliehen“ zugleich skurril und eindrucksvoll genug, um die Ehrung mit dem Ig-Literaturnobelpreis zu rechtfertigen.

Sjöberg freute sich verständlicherweise sehr über den Preis. Er zeigte sich äußerst glücklich darüber, dass er mit seinem Hobby nicht nur sich selbst großes Vergnügen bereiten, sondern auch andere Menschen mit Entzücken an seiner Leidenschaft teilhaben lassen konnte.

Ig-Nobelpreis Biologie

Einer der Ig-Nobelpreise der Kategorie Biologie galt dem Werk von Thomas Thwaites, der sich zu Forschungs- und Erholungszwecken kurzerhand dazu entschied, als eine Ziege zu leben. Mithilfe von speziell zu diesem Zweck gefertigten Prothesen verlängerte er seine Gliedmaßen auf eine Art und Weise, die es ihm erlaubte, zusammen mit einer Ziegenherde zu grasen und umherzuspringen.

Seine Erlebnisse lassen sich in dem von ihm geschriebenen Buch „Goatman: How I Took a Holiday from Being Human“ nachlesen. Seine hauptsächliche Absicht bestand darin, sich eine Auszeit von dem Stress des Lebens als Mensch zu nehmen und stattdessen ein Leben zu führen, das so simpel wie möglich ist. In den drei Tagen mit der Herde und den drei Tagen als Einzelgänger-Ziege machte dem Forscher vor allem die Witterung zu schaffen. Daher verbrachte er die Nächte nicht im Freien, sondern gezwungenermaßen in einem Zelt.

Obwohl Thwaites große Ehrfurcht vor den Hörnern der Ziegen hatte und aus nachvollziehbaren Gründen einen Helm trug, haben sie den selbsternannten „Goatman“ eigenen Aussagen zufolge letztendlich tatsächlich akzeptiert. Trotz der eher humorvollen Natur des Ig-Nobelpreises für dieses physische und psychologische Experiment fühlt sich der Brite geehrt für die Aufmerksamkeit, die seiner Arbeit durch diese Auszeichnung zuteil wird.