Home | Politik | International | Ist das Wahlsystem der USA veraltet?
Wahlsystem USA veraltet
Wahlsystem USA © vectorfusionart | Shutterstock.com

Ist das Wahlsystem der USA veraltet?

Nach dem in der Öffentlichkeit äußerst kontroversen Ergebnis der letzten US-Wahl werden noch immer nicht nur die zahlreichen umstrittenen Ansichten des künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump heiß diskutiert. Mit einem Vorsprung von mittlerweile mehreren Millionen Stimmen für seine Gegnerin Hillary Clinton wird zunehmend das zugrunde liegende Wahlsystem der USA infrage gestellt.

Der Grund hierfür ist, dass der republikanische Kandidat Trump trotz seines bei der Volksabstimmung nicht gerade geringen Rückstands im alles entscheidenden Elektorenkollegium durch eine klare Mehrheit gewann. Insgesamt erlang er 306 Elektoren, während seine demokratische Konkurrentin lediglich 232 dieser ausschlaggebenden Stimmen innehatte. Viele Wähler fühlen sich durch dieses Resultat missverstanden und nicht ordnungsgemäß repräsentiert.

Donald Trump wird damit als fünfter Präsident in die US-amerikanische Geschichte eingehen, der ohne Mehrheit der Volksabstimmung in das Weiße Haus einzieht. Um Klarheit über das Wahlsystem der USA und mögliche Gründe für die momentane diesbezügliche Unruhe zu schaffen, haben wir die Thematik im Folgenden näher beleuchtet und außerdem mit dem deutschen System verglichen.

Unterschiede des US-Wahlsystems zum System der deutschen Bundestagswahl

Da die Bundeskanzlerin / der Bundeskanzler als Regierungschef/in faktisch der politisch mächtigste Amtsträger Deutschlands ist und vom Bundestag gewählt wird, bietet sich ein Vergleich des US-Wahlsystems mit dem System der Bundestagswahl an.

Schon seit vielen Jahren stellen die beiden großen Volksparteien SPD und CDU/CSU sogenannte Kanzlerkandidaten auf, die einen großen Einfluss auf den Wahlkampf nehmen. Die Parteien geben damit zu verstehen, dass der Kandidat später von ihrer jeweiligen Bundestagsfraktion zum Bundeskanzler gewählt wird. Mittlerweile nominieren auch andere Parteien solche Kandidaten nach einem ähnlichen Prinzip, auch wenn diese in der Regel als Spitzenkandidaten bezeichnet werden.

Zunächst wirkt dies wie eine relativ deutliche Parallele zu den Vereinigten Staaten, weil die dortigen Präsidentschaftskandidaten auf eine ähnliche Weise ihre Parteien vertreten. Allerdings nominieren dort nur die zwei großen Parteien der Demokraten und Republikaner einen Präsidentschaftskandidaten, der vorher wiederum in den Vorwahlen der jeweiligen Partei bestimmt wird. Außerdem unterscheidet sich ebenfalls der darauffolgende Wahlkampf sehr von dem in Deutschland, denn er wird vergleichsweise zu einem sehr großen Teil in den Medien ausgetragen.

Vergleicht man die beiden eigentlichen Wahlvorgänge, ergeben sich ebenfalls einige deutliche Unterschiede. In Deutschland wird durch die sogenannte Zweitstimme nicht nur gewählt, welche Parteien in welchem Verhältnis in den Bundestag einziehen. Durch die Erststimme lässt sich auch Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestages nehmen. Der wichtigste und für einen Vergleich mit der US-Präsidentschaftswahl ausschlaggebendste Unterschied liegt allerdings bei dem System, in dem die Zweitstimmen zum Tragen kommen.

Gemäß dem Prinzip der personalisierten Verhältniswahl wird die Anzahl der Sitze im Bundestag bundesweit auf die Parteien nach dem Verhältnis der erhaltenen Zweitstimmen verteilt. Voraussetzung für den Einzug einer Partei in den Bundestag ist die Überwindung der Fünf-Prozent-Hürde bei der Zahl der erlangten Zweitstimmen. Zur Erringung einer absoluten Mehrheit kann es auch zur Bildung von regierungsfähigen Koalitionen kommen, die aus mehreren Parteien bestehen.

Die Präsidentschaftswahl und damit die Wahl der Regierungspartei in den USA verläuft nach einem sich von Deutschland wesentlich unterscheidenden Prinzip. Dort werden die zur Verfügung stehenden Kandidaten nicht direkt gewählt, sondern von Wahlmännern bestimmt. Dabei wählen die Einwohner jedes Staates eine Liste von Wahlmännern, die sich im Vorfeld einem bestimmten Präsidentschaftskandidaten verpflichtet haben. Die Anzahl der so gewählten Elektoren unterscheidet sich von Staat zu Staat und deren Gesamtzahl beläuft sich in den USA auf 538.

Theoretisch ist hierbei auch die Wahl eines Drittkandidaten möglich. Die Wahrscheinlichkeit eines Sieges ist für einen solchen Drittkandidaten jedoch so gering, dass viele Wähler die auf diese Art abgegebenen Stimmen als verschwendet sehen.

Somit sind für einen Sieg nach dem US-amerikanischen relativen Mehrheitswahlrecht mindestens 270 Wahlmännerstimmen nötig, um in das Weiße Haus einzuziehen. Die Verteilung dieser Stimmen erfolgt in fast allen Staaten nach dem „Winner-Takes-It-All-Prinzip“. Das heißt, dass ein Kandidat, der eine Mehrheit in einem Staat erzielt hat, dort sämtliche Elektorenstimmen einheimst. Dabei spielt es keine Rolle, wie knapp das letztendliche Ergebnis ausgefallen sein mag.

Aufgrund dessen kann es selten vorkommen, dass ein Präsidentschaftskandidat siegreich aus den US-Wahlen hervorgeht, ohne bezüglich der gesamten USA eine Mehrheit in der Volksabstimmung erreicht zu haben. Vor dem Sieg von Donald Trump war dies lediglich in den Jahren 1824, 1876, 1888 und 2000 der Fall, wobei der Triumph von George W. Bush vor 16 Jahren zuvor das aktuellste Beispiel war. Da der Republikaner Trump so umstritten ist wie kein anderer Präsident zuvor und in der Volksabstimmung derzeit einen Rückstand von über zweieinhalb Millionen Stimmen hat, ist das Wahlsystem der USA momentan für viele ein kontroverses Thema.

Mögliche Gründe für den Unmut über das US-amerikanische Wahlsystem

Nicht nur der Wahlkampf, sondern auch das Ergebnis der letzten US-Präsidentschaftswahl spaltete das Land wie kaum eine Wahl zuvor. Beide Kandidaten der Demokraten und Republikaner zählten zu den unbeliebtesten Präsidentenanwärtern der letzten Jahrzehnte. Große Teile der Wählerschaft hatten im Zuge dessen das Gefühl, keine für sie passende Alternative zur Auswahl zu haben.

Ein weiterer Hauptgegenstand vieler Streitgespräche um das derzeitige Wahlsystem der USA ist die Tatsache, dass Stimmen, die in einzelnen Staaten nicht zur Mehrheit gehören, gänzlich verworfen werden. Gerade weil in nicht wenigen Staaten häufig äußerst knappe Ergebnisse entstehen, fühlt sich so ein großer Teil der Bürger missverstanden und nicht zur Genüge repräsentiert.

Auch in Staaten, bei denen im Vorfeld schon relativ zuverlässig vorausgesagt werden kann, ob sich die Mehrheit der Wähler für die demokratische oder republikanische Seite entscheiden wird, ist dies ein Problem. Dort haben viele Menschen den Eindruck, als wäre ihre Stimme wenig bis gar nichts wert. Schließlich ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihre Wählerstimme letztendlich wieder verworfen wird, falls sie wie erwartet in der Minderheit sind.

„In Sachen Transparenz und Verwaltung gibt es im amerikanischen System sicher Nachholbedarf. Der bisherige Wahlablauf eignet sich jedoch nicht als Sündenbock für den Fall, dass man einem Konkurrenten unterliegt.“ – Michael Link, Chef der OSZE-Wahlbeobachter

Ein weiterer Grund für den weit verbreiteten Unmut über das US-amerikanische Wahlsystem ist die Ansicht von einigen Bürgern, dass das besagte System eine Gefährdung für die Demokratie darstellt. Die Ursache für diese Meinung hat die letzte Präsidentenwahl bestens demonstriert. Immer mehr Menschen sehen die Möglichkeit einer Präsidentschaft ohne die Mehrheit der Völkerstimmen als nicht mit einem demokratischen Gesellschaftssystem vereinbar. Dementsprechend halten viele das Wahlmännerkollegium für überflüssig und würden eine direkte Wahl bevorzugen.

Als zunächst nicht unbedingt offensichtlicher Faktor wird ebenfalls des Öfteren genannt, dass die generellen Wahlbedingungen zu undurchsichtig sind. Diese unterscheiden sich in den verschiedenen Staaten teils deutlich. So ist in manchen Staaten beispielsweise unbedingt ein Identifikationsnachweis mit Bild erforderlich, um zu wählen, während in einigen anderen Staaten kein solches Dokument verlangt wird.

Trend und Ausblick – Ist eine Änderung wahrscheinlich?

Bei der Frage, ob es wahrscheinlich ist, dass das momentan bestehende US-Wahlsystem in naher Zukunft geändert wird, sollte man auch die Vorteile und Intentionen eines solchen Systems nicht außer Acht lassen.

Obwohl viele Menschen sich politisch derzeit nicht ordnungsgemäß vertreten fühlen, wurde das Wahlmännerkollegium ursprünglich mitunter zu dem Zweck eingeführt, auch Staaten mit kleineren Einwohnerzahlen einen signifikanteren Einfluss zu ermöglichen. Außerdem wurde beabsichtigt, politische Macht bei der Regierungsbestimmung auf die Staaten zu verteilen, ohne dabei von einer insgesamt repräsentativen Form der US-Regierung abzuweichen.

Allerdings kann dadurch ebenfalls in manchen Staaten eine als zu stark empfundene Gewichtung von Einzelstimmen entstehen. Es ist nicht abzustreiten, dass der Unmut der amerikanischen Bevölkerung auf ernstzunehmende Nachteile des Wahlsystems der USA hindeutet, die vermuten lassen, dass es möglicherweise nicht mehr ganz zeitgemäß ist.

Im Hinblick auf die durch den technologischen Fortschritt wachsende Vernetzung der Welt und auch der US-Bevölkerung untereinander, entwickelt sich immer stärker die Perspektive, dass die Vereinigten Staaten trotz ihrer Größe bei solch wichtigen Abstimmungen möglichst als ganze Einheit agieren sollten. Allerdings stehen dieser Meinung wiederum zahlreiche Stimmen entgegen, die einer gewissen Unabhängigkeit der einzelnen Staaten in dieser Hinsicht eine große Wichtigkeit beimessen.

Fast sicher ist, dass besonders während der Amtszeit eines so heftig umstrittenen Präsidenten wie Donald Trump die Diskussionen um eine mögliche Änderung des Wahlsystems noch lange anhalten werden. Im Laufe der Zeit könnte diese Thematik zwar zunehmend seltener in politischen Diskussionsrunden der Bürger Platz finden. Doch es ist äußerst wahrscheinlich, dass die Debatte im Falle von wiederkehrenden kontroversen Entscheidungen des künftigen US-Präsidenten regelmäßig neu angeheizt wird.

Dass das Wahlsystem der Vereinigten Staaten unter Umständen veraltet sein könnte, ist unter den genannten Gesichtspunkten eine durchaus vertretbare Ansicht. Es existiert sogar eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Organisationen, die verschiedene Arten von Reformen des Wahlsystems der USA unterstützen. Dennoch halten wir eine signifikante Änderung solch eines fundamentalen Aspekts der US-amerikanischen Politik in absehbarer Zeit für äußerst unwahrscheinlich.